Tim Bendzko
© Fotocredit Josselin

Interview

Interview mit Tim Bendzko

Von Olaf Neumann

Nun präsentiert der Berliner mit der markanten Soul-Stimme seinen neuesten Longplayer „April“ auf einer Tournee.

Zuversicht ist ein Muskel

Tim Bendzkos Auszeichnungen lesen sich wie eine Chronologie der Superlative: Echo, Bambi, 1 Live Krone, Radio Regenbogen Award, Goldene Kamera, World Music Award, MTV Europe Music Award, Audi Generation Award. Nun präsentiert der Berliner mit der markanten Soul-Stimme seinen neuesten Longplayer „April“ auf einer Tournee. Fröhliche Songs wechseln sich ab mit Titeln, die sich mit den eigenen Ängsten beschäftigen, aber auch Mut machen. Im Interview mit Olaf Neumann vermittelt der 37-Jährige den Eindruck, als habe der Ruhm ihn nicht verkrampfen lassen, sondern eher noch entspannter gemacht.

 

 

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In Ihrem neuen Album „April“ besingen Sie die chaotischen Zeiten, in denen wir leben. Liegt im Chaos auch ein gewisser Reiz, ein Prickeln?

Tim Bendzko: Total. Wahrscheinlich nicht in der Sekunde, in der ich feststelle, dass Chaos herrscht, aber nach zwei-, dreimal Brustatmung sehe ich auch eine Chance im Chaos. Weil es immer auch die Möglichkeit gibt, sich neu zu sortieren und wieder in die Startlöcher zu gehen.

„Kein Problem, wenn die Welt untergeht, weil ich in meiner eigenen leb'“, singen Sie in „Kein Problem". Ist das eine Zustandsbeschreibung der Gesellschaft?

Bendzko: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber das kann man durchaus so sehen. In dem Song geht es eigentlich darum, dass man sich in gewissen Kreisen nicht zuhause fühlt und meint, in einer anderen Welt zu leben. Es ist eines unserer größten Probleme, dass wir uns nicht mehr miteinander verbunden fühlen und uns immer mehr isolieren. In den letzten Jahren mussten wir das durch die Pandemie extrem. Die sozialen Medien nehmen heute einen unglaublichen Platz in unserem Leben ein. Ich glaube, das ist eine große Herausforderung.

Was kann die Menschen wieder zusammenbringen?

Bendzko: Man hat im besten Fall einen Freundeskreis, der verhindert, dass man sich isoliert. Ich habe kein Patentrezept, aber Kunst kann auf jeden Fall helfen. So kann ich indirekt meinen Beitrag leisten. Mir schreiben regelmäßig Leute, die sich bei Konzerten von mir kennengelernt haben und jetzt beste Freunde sind. Es geht natürlich runter wie Öl, wenn man sowas liest.

„Wie kann ich die Dämonen besiegen?", fragen Sie sich in der Pianoballade "Phantomschmerz". Welche Art von Dämonen mussten Sie in Ihrem Leben besiegen?

Bendzko: Man hadert immer mit sich und seiner Vergangenheit, weil man im Leben zwangsläufig Fehler macht. Dinge, die man eh nicht mehr ändern kann, hinter sich zu lassen, ist eine große Kunst. Wenn ich schon immer versucht habe, maximal gute Entscheidungen zu treffen, kann ich mir rückblickend auch nicht vorwerfen, dass ich mich heute anders entscheiden würde.

Mussten Sie anfangs große Hürden überwinden, um diesen Beruf ergreifen zu können?

Bendzko: Nicht wirklich, weil ich den Entschluss schon als Zwölfjähriger gefasst habe. Ich habe mir eingeredet, dass es für mich keinen anderen Weg gibt. Deshalb fiel es mir relativ leicht. Trotzdem fragt man sich ja, auf welchem Wege man da hinkommt. Ich habe ganz lange geglaubt, dass irgendwann jemand einfach um die Ecke kommt, mich entdeckt und ab da alles ganz leicht wird. Nach einer Weile ist mir aufgegangen, dass das alles Quatsch ist und ich die Schritte selber gehen muss.

Was brachte Sie schon als Kind dazu, Ihre Zukunft zu planen?

Bendzko: Ich habe damals ganz nüchtern überlegt, was ich beruflich so machen könnte. Es gab ein paar Parameter: Es muss mich erfüllen und mir Spaß machen. Ich wusste da schon, dass mir Dinge relativ schnell langweilig werden und ich etwas brauche, was ich wirklich lange machen kann. Mir war immer klar, dass ich keinen Beruf ausüben möchte, bei dem es nur um das Überleben und Gerldverdienen geht ohne auch zu leben. Am Ende ist meine Wahl auf die Musik gefallen, und ich habe zuhause zu irgendwelchen Alben wie ein Verrückter gesungen.

Was hat die Musik mit Ihnen gemacht?

Bendzko: Sie brachte mich emotional in einen völlig anderen Modus. Ich merkte: Wenn ich fröhlich bin und einen traurigen Song höre, kann er meine Stimmung in diese Richtung drücken, aber er kann mir auch genauso Mut machen. Als Kind war es für mich phänomenal, welche Kraft Musik hat. Offensichtlich war ich schon damals relativ pragmatisch veranlagt, weil ich dachte, es wäre doch schlau, wenn ich die Songs einfach selber schreiben würde. Dann kann ich meine Stimmungen damit steuern.

Haben Ihre Eltern den Wunsch ernst genommen?

Bendzko: Nein. Sie haben das in einem angenehmen Maße einfach passieren lassen, mich aber einmal im Jahr bei einem ernsten Gespräch wissen lassen, dass das eine Quatsch-Idee ist. Das Entscheidende war: Sie haben mir keine Steine in den Weg gelegt. Irgendwann haben sie wohl gemerkt, dass das vielleicht etwas Besonderes ist, was da passiert.

Was wäre aus Sicht Ihrer Eltern ein anständiger Beruf für Sie gewesen?

Bendzko: Naja, irgendwas studieren. Als dieses Gespräch das letzte Mal passiert ist, sagte ich zu meiner Mutter trotzig: „Ich wette mir dir, dass ich innerhalb eines halben Jahres mehr verdiene als du“. Das hat dann auch geklappt.

Was haben Sie dafür getan?

Bendzko: Ich fing bei einem Auto-Auktionator als Aushilfe an. Das war mir nach ein paar Monaten so langweilig, dass ich selbst Auktionator wurde und plötzlich in der gleichen Gehaltsklasse wie meine Eltern unterwegs war. Als ich ihnen anderthalb Jahre später beichtete, dass ich den Job wieder gekündigt habe, waren sie nicht so glücklich.

Hatten Sie als Auktionator alles erreicht?

Bendzko: Nein, da wäre schon noch ein bisschen mehr gegangen. Aber ich habe schnell festgestellt, dass es auch wieder immer dasselbe war. Es war aber trotzdem noch ein relativ freier Beruf, weil ich viel unterwegs war. Ich hatte jedoch das Gefühl, wenn ich das zu lange mache, verblasst mein eigentlicher Traum. Am Ende sagte ich zu meinem Chef: „Tut mir leid, ich muss jetzt leider Sänger werden!“

Wie fanden Ihre Eltern Ihr erstes Konzert?

Bendzko: Sie waren ein bisschen überrascht, als sie feststellten, dass da wirklich was dahinter ist. Für die meisten Eltern ist solch eine Idee ja gar nicht zu greifen. Für mich hingegen war es ganz realistisch, dass es mit dem Singen wirklich was werden kann.

Haben Sie wirklich nie an sich gezweifelt?

Bendzko: Doch. Ganz lange war ich sicher, dass es klappen würde, aber das halbe Jahr, bevor der erste Song und das erste Album herauskamen, war ich unsicher und dachte, warum soll es gerade bei mir ein Riesenerfolg werden. Am Ende hat es aber doch geklappt.

Wie haben Sie Ihre eigene Stimme, Ihren eigenen Klang gefunden?

Bendzko: Durch Imitation meines zukünftigen Ichs. Ich stellte mir als Kind immer vor, wie ich gerne klingen möchte. Und wenn man dann ein bisschen so tut, als wäre man dieser Mensch, dann klingt man auch so. Das ist ja ein Muskel, den man trainiert. Als Erwachsener ist es ungleich schwieriger, seine Stimme in eine bestimmte Richtung zu entwickeln. Ich klinge heute so, wie ich mir es als Kind immer vorgestellt habe.

Welche Soulsänger haben Sie beeinflusst?

Bendzko: Die Musikrichtung war mir eigentlich immer ziemlich egal. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass Musik mehr mit mir macht, wenn sie in meiner Sprache passiert. Also habe ich als Kind alles gehört, was deutschsprachig war: Z.B. Grönemeyer, Xavier Naidoo, Laith Al-Deen.

In „Parallelwelt“ besingen Sie das Phänomen, dass manche Menschen in andere Realitäten abdriften, in der sie sich zu verlieren drohen. Wie denken Sie über dieses Merkwürdigkeit?

Bendzko: Zu dem Lied kam es, weil der Begriff „Parallelwelt" bei mir zu einem geflügelten Wort wurde. Immer, wenn ich etwas darüber gelesen oder gehört hatte, fragte ich mich kopfschüttelnd, was eigentlich mit der Menschheit los ist. Das Spannende an diesem Phänomen ist, dass man nicht weiß, ob man selbst derjenige ist, der in einer Parallelwelt lebt oder ob es der andere ist. Das ist ein unlösbares Problem wie die unendliche Treppe von M.C. Escher. Man kann sich natürlich hinstellen und behaupten, ihr lebt alle in einer Parallelwelt, aber das impliziert auch, dass man selbst in einer lebt. Ich bin mir sicher, dass ich bei vielen Dingen in einer ganz anderen Welt lebe. Das heißt aber nicht, dass meine Welt die Normale ist.

Sind Künstler besondere Menschen, die das ausleben, was „normale“ Menschen sich nicht trauen?

Bendzko: Eigentlich ist jeder Mensch besonders, aber ich weiß, was Sie meinen. Das ist schon ein merkwürdiger Beruf, bei dem man gefühlt zwei Jahre in seinem Keller verbringt und ewig über einzelne Silben oder Worte nachdenkt. Sich den Kopf über Dinge zermartert, die für viele Menschen gar keine Rolle spielen. Gleichzeitig ist man in einer Welt unterwegs, bei der man an jeder Ecke gesagt bekommt, wie toll man ist und wie viel man richtig macht. Es ist ja auch ein bisschen merkwürdig, wenn man die ganze Zeit in einer Blase unterwegs ist und sich danach sehnt, dass die anderen einem auf Augenhöhe begegnen.

Wie gehen Sie damit um?

Bendzko: Indem ich versuche, mich mit Leuten zu umgeben, die dem entgegenwirken. Ich glaube, ich bin da relativ gut aufgestellt. Ansonsten versuche ich mich so oft und so stark wie möglich hinterfragen.

Muss man in Ihrem Beruf die Kunst der konstruktiven Selbstkritik beherrschen?

Bendzko: Man muss selbstkritisch sein und den Mut haben, Dinge hinter sich zu lassen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es für einen Künstler, der von seiner Kunst lebt, nicht so schlau, immer wieder Neues auszuprobieren. Wir sind ja alle Gewohnheitstiere. Es wäre wahrscheinlich schlauer gewesen, in den letzten zwölf Jahren zwölf Songs geschrieben zu haben, die in die gleiche Kerbe schlagen wie „Nur noch kurz die Welt retten“. Aber man muss als Künstler den Mut haben, auch mal etwas anderes auszuprbieren. Ich bin jetzt der Tim Bendzko von 2023. Das heißt aber nicht, dass ich mich selbst verleugne. Ich bin stolz auf mein Debüt, aber ich würde solch ein Album heute nicht mehr schreiben, weil ich mich weiterentwickelt habe. Die alten Songs spiele ich natürlich gerne weiterhin, weil sie ein Teil von mir sind.

Was macht Sie so zuversichtlich, dass auch die nächste Etappe Ihrer Karriere erfolgreich sein wird?

Bendzko: Ich glaube, Zuversicht ist ein Muskel, weil man gar keine andere Wahl hat. Ich habe ja viel weniger davon, mich in Sorgen zu wälzen, als wenn ich darauf setze, dass es weiterhin funktioniert, solange ich es mit der gleichen Motivation und Herangehensweise tue.

Und wenn nicht?

Bendzko: Dann ist es auch okay. Ich habe so viel mehr erleben dürfen, als ich mir hätte ausmalen können, was das Thema Musik angeht. Ich bin nicht auf dem Höher-schneller-weiter-Trip und genieße es, solange es so ist. Sollte es irgendwann nicht mehr klappen, mache ich halt etwas anderes.

Haben Sie einen Plan B?

Bendzko: Nein. Ich habe heimlich parallel nichts anderes am Start. Aber zumindest die Zuversicht, dass mir im Falle eines Falles schon etwas einfällt. Ich dachte immer, ich bin der geborene Musiker, aber ich habe auch Freude daran, gänzlich Neues auszuprobieren. Das muss nicht zwangsläufig Musik sein.  Olaf Neumann

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